Kluge Kunst

Norbert Kluge befreit die Dinge, die er in seiner Umwelt findet, oft an der Nordsee, aus alten funktionalen (objektbiografischen) Zusammenhängen und bringt sie ein in andere (poetische, skurrile, groteske, narrative, magische) Kontexte. Wo er ihnen ein Gutteil ihres Eigenlebens lässt, wo er ihre Vergangenheit, ja, ihre Würde respektiert (und er tut dies in der Regel), entfalten sie eine ganz eigene Gegenstandsmagie….Kluge fügt immer etwas hinzu, schafft neue Konstellationen/Sinnzusammenhänge. Also eher nicht Marcel Duchamp sondern Picasso als der große Anreger. Der montierte bekanntlich Fahrradsattel und-lenker zu seinem genial einfachen Stierkopf. Kluge kombiniert rostiges Alteisen mit Holz oder Knochen oder anderem Gefundenen. Er stiftet neuen Sinn, gern auch mal skurrilen Unsinn. Und schlägt obendrein als Zugabe die verbale Volte, fügt gewissermaßen durch den Wortwitz der Titelgebung( zwischen Tiefgang und Nonsens) noch eine Umdrehung hinzu. Manche der Objekte/Assemblagen entfalten ihren magisch-ästhetischen Magnetismus durchaus auch ohne die launigen Titel. Ich sehe primär bei vielen seiner Objekte auch sehr ernste Konfigurationen, die ihre eigene Vita, ihre Verletzungen, ihr Alter, ihren Reiz der Patina, die Würde des Rostes ausstellen.Die uralte japanische Geisteshaltung des WABI SABI kommt einem in den Sinn, die die Dinge nicht an sich, sondern immer im Strom der Zeit, des Prozesshaften zwischen Werden und Vergehen betrachtet. „Wird das Werk geformt, sollte der Künstler frei von Gedanken und auf die natürlichen Rhythmen des Lebens gestimmt sein, die intellektuellen Vorstellungen von Kunst und Schönheit hinter sich lassen“, heißt es in einem Wabi Sabi Text. Die Gegenstände sind vom Künstler aus alten, sich uns Heutigen manchmal nicht erschließenden Gebrauchszwecken in ein neues, zweites Leben hinübergeholt worden. Gerettet vor der Schrottpresse, dem Verrotten. Dem großen Ablagespeicher, aus dem es kein Zurück ans Licht gibt..An die Stelle der praktischen Funktion tritt die ästhetische. Statt schnödem Gebrauchswert: geistig-ästhetischer Mehrwert. Dabei sind respektvolle Zärtlichkeit und Liebe zu den alten Gegenständen im Spiel. Sie sind conditio sine qua non einer solchen Arbeitsweise.
NorbertKluge scheint einer zu sein, der an den Fundstücken ebensolche Freude hat wie an den Wörtern, die ihm in den Kopf kommen mögen, wenn er sie betrachtet. Dabei glaube ich nicht, dass bei ihm das Wort den Anfang macht: es folgt wohl eher dem Gegenstand. Es wird vom Gegenstand inspiriert. Es mag allenfalls einen Einfluss auf das Detail des Fundwerkes haben. Nicht auf das Ganze. Aber wir sollten ihn danach fragen: Vielleicht irre ich mich ja? Und es gibt auch durchaus mal den umgekehrten Vorgang: Der Künstler sitzt in seiner anregenden Klause in der Spandauer Zitadelle, hat einen seiner verquer-originellen Gedanken, der sich im Kopf als ungewöhnliche Konstellation von Worten darstellt und sucht unter seinem Vorrat an Fundstücken nach den Gegenständen, die seine Idee verdinglichen könnten? Nein. Nein, nein. Ich glaube nicht. Eher doch wohl nicht“ im Anfang war das Wort“, sondern „im Anfang war der Gegenstand“, oder wenn man will:“im Anfang war die Tat“: das Collagieren, Assemblieren, Kombinieren der Fundstücke zu Fundwerken. Und aus dem Vorgang des Zusammenfügens, der ein handwerklicher und ein geistiger Prozess ist, der die Reibung, die Widersprüche zwischen den Teilobjekten artikuliert, ja inszeniert, aus diesem Vorgang mag wohl der Funke Inspiration entstehen, der den sinngebenden, augenöffnenden, meistens hintersinnig-skurrilen Werktitel kreiert. Aus Ötzis Turnbeutel…Eiserne Hochzeit…Modell Na, Omi…Selbstbefriedigung mit Dreißig…, um nur ein paar Titel zu nennen. Ich empfehle sehr, sie zu lesen. Aber: Ich empfehle auch, vorher ganz genau die Objekte in Augenschein zu nehmen. Viellleicht kommen Sie ja auf ganz andere Ideen. Ein gutes Kunstwerk, dito ein Fundwerk, lässt einen ganzen Fächer an Deutungsalternativen zu. Vielleicht sind des Meisters Titeleinfälle ja die Einfallstore in seine ganz eigene Welt aus quergebürsteten Wörtern und Artefakten, aus Vergangenem und gegenwärtiger Realität, aus Husum und Spandau bei Berlin. Hauke Haien, unterwegs auf den Mauern der Zitadelle, umwabert von abendlichem Nebel, umschwirrt in der Nacht von zehntausend Spandauer Fledermäusen, wer weiß? In solchen Nächten wird aus altem Holz und einem Lot und einem Hufeisen schon mal ein veritabler Bischof…und vom Grunde der Havel(oder war es der Spree?) nahe der Schleuse taucht niemand anderes auf als Jacques Cousteau im tiefen Rausch….
Aber vielleicht sehe ich das alles viel zu romantisch. Sitzt nicht eher Norbert Kluge am helllichten Tage in seiner Klause, grübelt über den Fundstücken des letzten Sommers an der Nordsee, lässt sich inspirieren vom Gegenüber oder Zueinander der Objekte und kreiert seine merkwürdigen Fundwerke und Wortspiele: nüchtern und hellwach? Das Holzding hier sieht tatsächlich aus wie ein Fuß. Ein Schuh, vielleicht ein Turnschuh, der schon bessere Tage erlebt hat. Kluges Geniestreich besteht nun darin, drei rostige Blechstreifen an der richtigen Stelle anzubringen. Der globale Schuster aus Herzogenaurach hat nun die Wahl: Prozessieren oder das Objekt für sehr viel Geld zu erwerben und es in der Werbung einsetzen als Behauptung:Schon Ötzi, na klar, hat unsere guten, alpentauglichen Schuhe…und so weiter. Was sagt uns das? Kluge ist mit seinen nachdenklichen ErFindungen durchaus ein Mann von dieser Welt. Er findet, interpretiert, widmet um aus der Position eines Heutigen. Und genau das macht seine Objekte für uns Rezipienten so attraktiv.

Aus der Rede von Hans Mendau, Dozent an der Kunsthochschule Berlin und Künstler, zur Ausstellung in der Galerie 100, Berlin 2005

….Norbert Kluge ist ein Sammler vom Typ her-immer schon- wie er sagt.Und aus welchem Holz er geschnitzt ist kann man ahnen. Seine rostigen und kantigen- oder mitunter gebieterischen Majestäten-wirken schlicht vereinnahmend. So, als hätten wir sie selbst gefunden am Strand und zu solch wundersamer Auferstehung verholfen.
Nur sollte man dem Irrtum nicht aufsitzen, dass hier ein origineller Bastler oder ein besonders geschickter Ästhet am Werke wäre…Einer, der dem Rost den Adel aufschwatzt, um uns hernach mit seinen darauffolgenden passend-philosophischen Ergüssen in zierlicher Sprache zu belästigen. Nichts von dem!
Das Schöne ist, dass das,was Norbert Kluge macht, ausschließlich Resultat seiner eigenen, seiner sehr genauen Empfindung ist.
Geschulten Auges-natürlich-geht er die Strände entlang- besonders nach Unwettern und Stürmen. Und was ihn anzieht, nimmt er auf-immer noch ohne Hintergedanken, die Freude, der freudige Schreck ist zu groß-hinderlich fast. Er bleibt einfach stehen, beklommen fast und das Glück einfach in seinen Händen. Hebt es auf. Die Schätze trägt er heim zu den anderen. Die Inhalte kommen tatsächlich intuitiv und geradewegs aus der Form, die sich aus einer Klarheit bildet, die den Augen traut und dem Gefühl. Ein Kunststück ist das, im besten Sinne. Der Künstler geht nicht etwa thematisch vor-eher mental. Da ist kein Konzept. Seine Gebilde, seine Skulpturen-oder Objekte warnen, blinken staunen, fordern auf……

Aus der Rede von Petra Hornung, Kunsthistorikerin, zur Ausstellung in der Zitadelle Spandau, Bastion Kronprinz, Berlin 2008

…Norbert Kluge zeichnet eine große Liebe zur Kunst aus… Seine klugen Objekte erzählen Geschichten, die resümiert auf den Punkt gebracht sind. Ihre Lesart appelliert an unsere Intelligenz und unser kulturelles Gedächtnis. Seiner schöpferischen Phantasie sind scheinbar keine Grenzen gesetzt, aber bei allem Witz und geistig sprühender Ironie verlässt er niemals den Bereich des Humanen, einen Zugang zur Welt, die ihn selbst als Persönlichkeit auszeichnet.
Deshalb können wir bei der Rezeption seiner Kunstwerke schmunzeln und entdecken die ganze Fülle menschlicher Existenz, die wir wiedererkennen und in uns tragen. Ob nun „Ritter Blaubart“, „ Der Teufel regiert die Welt“, die versöhnliche Skulptur „ Vater und Sohn“ oder „Daisy on Ice“ in den Reigen seines Universums treten: Es ist immer amüsant und genial zugleich. Diese Genialität rekurriert auf das Einfache, nicht im Sinne von Banalität, sonder wohl überlegter Tiefsinnigkeit.
Ergänzt wird die ikonografische Lesbarkeit durch Norbert Kluges mit dem Gegenstand korrespondierende Titelgebung. Sie pointiert den Sinnzusammenhang seiner Figuren, ohne mit dem Zeigefinger darauf hinzuweisen. Freiheit im Denken und Fühlen ist bei der Rezeption seiner Kunstwerke gegeben.

Sabine Conrad, M.A. zur Ausstellung im Atelier Remise, Berlin 2010

Norbert Kluge konstruiert Figuren als freistehende Plastik oder im Kontext einer Assemblage, wenn es darum geht, auch Schauplätze zu verbildlichen. Sein Kunststück besteht darin , die Anzahl der verwendeten Teile konstruktiv auf ein Minimum zu beschränken. Dies gelingt ihm dadurch, dass der Betrachter geschickt in den assoziativen Prozess mit einbezogen wird, denn wenige Attribute und Andeutungen genügen ihm, um die Vorstellung von Kopf oder Körper zu erzeugen, selbst wenn die Dinge in ihrer Ursprungsform weit davon entfernt waren….

Bernd Kliche Künstler, Schloss Wustrau, Dt. Richterakademie, 2015